Saarbrücker Zeitung, 4.5.1999
"Incops" heißt ein Lernprogramm im Internet, mit dem die Psychologie-Studenten der Saar-Uni am PC werkeln können - Multimediales Lernen wird auch bei ihnen immer beliebter
Man stelle sich folgendes Experiment vor: Für Bruchteile von Sekunden leuchten Buchstaben auf einem Bildschirm auf. Wie viele davon sind im Gedächtnis hängengeblieben? Mit solchen und ähnlichen Tests versuchen die Wissenschaftler Antworten auf die Frage zu finden, wie unser Gedächtnis zumindest theoretisch funktioniert. Fragen, mit denen sich auch die angehenden Erziehungswissenschaftler an der Universität des Saarlandes in der Einführungsveranstaltung "Kognitive Psychologie" herumschlagen.Dabei haben die Saarbrücker Studierenden einen entscheidenen Vorteil: Sie müssen auf anschauliche Experimente dieser Art nicht verzichten, anders als viele ihrer Kommilitonen sonstwo in Deutschland. Denn die gesamte Veranstaltung, "Incops" ("Introduction to Cognitive Psychology") läuft über das Internet, so daß Simulationen und Experimente per Computer leichter visuell umgesetzt werden können, während das im normalen Hörsaal mangels technischer Ausstattung nur mit relativ hohem Aufwand möglich ist.
Geschaffen wurde das virtuelle, multimediale Lehr-und Lernprogramm in zweijähriger Arbeit von dem Saarbrücker Diplom-Psychologen und Erziehungswissenschaftler Benedikt Klein. Es erlaubt dem Benutzer, seinen Lernstoff interaktiv zu lernen und beantwortet Test-Fragen. 500 Textseiten und insgesamt 2100 Fragen hat Klein ins Netz gestellt. Dabei "reagiert" das Programm individuell auf den Wissensstand des Lernenden.
Hat man zum Beispiel nur 80 Prozent der Fragen richtig beantwortet, weist der "virtuelle Trainer" den Benutzer - höflich aber bestimmt - auf die Wissenslücken hin und schlägt entsprechende Seiten zum Nachlesen vor. "Incops" basiert auf einem sogenannten Internet-Autorensystem (ART-Web), das Klein gemeinsam mit dem Psychologie-Professor Gerhard Weber von der Pädagogischen Hochschule Freiburg entwickelt hat.
"Mit dieser Software kann man Lernprogramme erstellen, ohne selbst programmieren zu müssen", erklärt Klein das schlaue Konzept, mit dem die virtuelle Lehre verbessert und erleichtert werden soll. Doch auch die Wirtschaft hat die neue Art zu lernen entdeckt. Für die Karlsberg-Brauerei zum Beispiel hat Klein kürzlich einen "virtuellen Trainer" entwickelt, mit dem Außendienstmitarbeiter getrimmt werden. "Die Mitarbeiter waren nach anfänglicher Skepsis begeistert. Anstatt im Ordner zu blättern, rufen sie jetzt einfach Schlagwörter im Internat ab", so der Erziehungswissenschaftler, für den sich seine Neuentwicklung auszuzahlen beginnt, denn weitere Projekte dieser Art sind in Aussicht. Von den Studenten wird das virtuelle Studienangebot "Incops" gut angenommen, obwohl Klein durchaus bewußt ist, daß der Computer niemals den persönlichen Kontakt zwischen Lehrern und Schülern ersetzen wird. "Die Studenten profitieren davon, unabhängig von Raum und Zeit lernen zu können. Trotzdem wollen sie zusätzliche persönliche Treffen mit dem Dozenten. Das Internet kann das herkömmliche Angebot nur ergänzen." Und so trifft sich Klein regelmäßig statt im virtuellen "Incops Chat-Room" leibhaftig mit seinen Studenten im Computer-Pool auf dem Saarbrücker Campus.
Dort werden technische Probleme mit dem Programm gelöst, aber auch fachliche Fragen diskutiert. Wer an einem der virtuellen Seminare teilnehmen will, benötigt einen handelsüblichen Rechner, Internet-Anschluß und Soundkarte. Benedikt Klein steht der neuen Technologie nicht unkritisch gegenüber. "Es schwirren viel Mythen über das Online-Lernen herum. Ich glaube nicht, daß das Lernen durch die Nutzung des Internet leichter wird, wohl aber flexibler." Aus seinen Erfahrungen mit dem Online-Kurs weiß er: "Manche Studierende sehen vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr." Für alle, die sich nicht nur von Internet-Seite zu Internet-Seite durch "Incops" klicken wollen, gibt es den Lernstoff auch ganz altmodisch auf Papier. Klein, ein begeisterter Taucher, hat übrigens auch einen unterhaltsamen virtuellen Tauchkursus entwickelt. ESTHER BRAUN
Internet-Adresse: http://www.incops.de